Nach einer Phase des tiefen Durchatmens geht es heute weiter mit der Blogreihe zur möglichst korrekten Zeichensetzung. Mit den Aufzählungen und Reihungen hatten wir uns schon beschäftigt, ebenso mit den Nebensätzen. Heute geht es der Infinitivgruppe an den Kragen.
Für viele mag diese Disziplin die schwierigste von allen sein, und die Rechtschreibreform hat das Ganze nicht gerade einfacher gemacht. Kommt es bei der Kommasetzung im Zusammenhang mit Infinitivgruppen nämlich sehr auf das eigene Sprachgefühl an. Und mit den Gefühlen, das wissen wir, ist das so eine Sache. Wenn es um Gefühle geht, sind auch schnell Missverständnisse mit im Spiel.
Ein Beispiel:
Ihre Enkel bitten Oma zu essen.
Rein grammatikalisch benötigt dieser Satz kein Komma. Doch sind ohne ein Komma hier zwei sehr unterschiedliche Lesarten möglich:
Die Enkel halten es für angebracht, dass Oma mal wieder etwas zu sich nimmt:
Ihre Enkel bitten Oma, zu essen.Die Enkel wollen Oma loswerden und wenden sich diesbezüglich an Kannibalen:
Ihre Enkel bitten, Oma zu essen.
Was ist eine Infinitivgruppe?
Eine Infinitivgruppe liegt immer dann vor, wenn sich zu dem Infinitiv eines Verbes (gehen, stehen, schlafen, rennen etc.) mindestens mal das Wörtchen zu gesellt (zu gehen, zu stehen etc.), gegebenenfalls aber auch noch weitere Wörter (um zur Arbeit zu gehen, statt in der Schlange zu stehen etc.) hinzukommen.
Besteht die Infinitivgruppe nur aus zu + Infinitiv, spricht man von einem einfachen Infinitiv. Kommen weitere Wörter hinzu, nennt es sich erweiterter Infinitiv.
Der einfache, nicht satzwertige Infinitiv
Oben angeführte erste Lesart des Oma-Beispiels entspricht dem einfachen Infinitiv: zu essen stellt die Infinitivgruppe dar. Man sagt, dass einfache Infinitive nicht satzwertig sind. Die Grammatik besagt auch: Sie bilden mit dem übergeordneten Verb ein komplexes Prädikat.
Die Regel
Grundsätzlich gilt, dass einfache Infinitive kein Komma benötigen. Es sei denn, ohne Komma kommt es zu Missverständnissen! In solchen Fällen entspricht das Setzen eines Kommas einmal mehr der Servicedienstleistung: Sie helfen Ihren Lesern, Sie besser zu verstehen.
Typische Verben des Hauptsatzes, die einen einfachen Infinitiv nach sich ziehen können, sind sein / haben / versuchen / brauchen / scheinen / pflegen (im Sinne von etwas üblicherweise tun).
Beispiele für den einfachen, nicht satzwertigen Infinitiv ohne Komma:
Der blaue Fleck ist deutlich zu erkennen.
Der Wecker hat gefälligst zu funktionieren.
Bernd versucht zu tanzen.
Jetzt braucht Simone auch nicht mehr zu kommen.
Heute scheint die Sonne besonders lange zu scheinen.
Jens pflegt lange zu schlafen.
Beispiele für den einfachen, nicht satzwertigen Infinitiv mit Komma:
Zur Vermeidung von Missverständnissen kann es dennoch sehr sinnvoll sein, auch bei einfachen Infinitiven über ein Komma nachzudenken. Besonders das Wörtchen nicht kann ein Indiz dafür sein, besser ein Komma zu setzen.
Bernd versucht nicht, zu tanzen. – Bernd will nicht tanzen, er versucht es gar nicht erst.
Bernd versucht, nicht zu tanzen. – Bernd tanzt eigentlich immer, nur jetzt will er davon mal absehen.
Infinitivgruppen, die einem Nebensatz entsprechen
Bildet der Infinitiv den Kern einer eigenständigen, satzwertigen Infinitivgruppe, entspricht dies funktional einem Nebensatz. Wie Nebensätze benötigen solche Infinitivgruppen die Abtrennung durch Kommata. Ob es sich um eine satzwertige Infinitivgruppe handelt, erkennen Sie an wenigstens einem der folgenden Kriterien:
Die Infinitivgruppe…
- beginnt mit einer unterordnenden Konjunktion
- hängt von einem Substantiv des übergeordneten Satzes ab
- bezieht sich auf ein Korrelat oder ein Verweiswort
Konjunktion? Substantiv? Korrelat? Näheres dazu folgt weiter unten.
Die Regel
Erweiterte Infinitive, die den oben genannten Kriterien entsprechen, benötigen immer Kommata! Und dies nicht nur am Anfang: Handelt es sich um einen verschachtelten Satz, zu dem als ein Teil auch eine satzwertige Infinitivgruppe gehört, wird auch deren Ende mit einem Komma markiert.
Bei allen anderen Infinitivgruppen, besonders wenn die Infinitivgruppe die Funktion des Subjektes im Satz übernimmt, ist dem Autoren überlassen, ob er – auch zu dem Zweck, Missverständnisse zu vermeiden – Kommata setzen möchte oder nicht.
Infinitivgruppen, die mit einer unterordnenden Konjunktion beginnen
Beginnt eine Infinitivgruppe mit um / ohne / statt / anstatt / außer /als, benötigt sie immer Kommata!
Beispiele für Infinitivgruppen mit unterordnender Konjunktion:
Um sich weiterzubilden, entschied sich Rainer für einen Volkshochschulkurs.
Jack schlug zu, ohne mit der Wimper zu zucken, und ging dann wieder seines Weges.
Olaf blieb lieber auf dem Sofa sitzen, statt zum Sport zu gehen, und schaute sich ein Fußballspiel an.
Anstatt ihre Hausaufgaben zu machen, traf sich Sarah lieber mit ihren Freundinnen.
Helmut braucht nichts zu tun, außer endlich das Trinken sein zu lassen.
Helene blieb nichts anderes übrig, als dem Räuber ihre Handtasche zu geben.
Infinitivgruppen, die von einem Substantiv des übergeordneten Satzes abhängen
Infinitivgruppen können von einem Substantiv (Hauptwort) des übergeordneten Satzes abhängen und entsprechen dann in ihrer Funktion einer adverbialen Bestimmung. Das heißt, der erweiterte Infinitiv erläutert, in welcher Art und Weise, an welchem Ort, zu welcher Zeit oder aus welchem Grund etc. ein Substantiv etwas tut beziehungsweise mit ihm etwas getan wird.
Beispiele für adverbiale Infinitivgruppen:
Art und Weise: Die Hoffnung, schnellstmöglich reich zu werden, hat Sybille noch nicht aufgegeben.
Ort: Uwe hatte den Traum, nach New York auszuwandern, schon im zarten Alter von 19 realisiert.
Zeit: Seine Absicht, bald Karriere zu machen, war Reinhard sehr ernst.
Grund: Es war eine weise Entscheidung, aufgrund der Straßenverhältnisse zu Fuß zu gehen.
Infinitivgruppen, die sich auf ein Korrelat oder ein Verweiswort beziehen
Infinitivgruppen können durch ein Korrelat (Platzhalter, vor allem das Pronomen es) oder ein Verweiswort ( damit / daran / darüber / dahin / dafür etc.) angekündigt oder wieder aufgenommen werden.
Beispiele für Infinitivgruppen mit Korrelaten und Verweiswörtern:
Korrelat:
Es stellt eine große Herausforderung für Thomas dar, im Unterricht nicht einzuschlafen.
Steffi hasst es, in Hundehaufen zu treten.
Verweiswort:
Emil ist dafür, das Rad neu zu erfinden.
Daran, die Welt zu verbessern, arbeiten wir noch. Und dahin, den Weltfrieden einzuführen, kommen wir noch.
Infinitivgruppe übernimmt die Funktion des Subjektes im Satz
Übernimmt die Infinitivgruppe die Funktion des Subjektes im Satz (zu ermitteln mit der Frage: Wer oder was? – im Gegensatz zum Objekt: Wen oder was?), überlässt die Neue Deutsche Rechtschreibung es dem Autoren, ob er ein Komma setzen möchte oder nicht.
Sie sind nicht sicher, ob Sie das Subjekt eines Satzes jederzeit ermitteln können? Dann halten Sie es mit den alten Regeln und trennen Sie auch hier die Infinitivgruppe vom Rest des Satzes mit Kommata ab.
Beispiele für Infinitivgruppen in der Funktion des Subjektes:
Immer an der rechten Stelle ein Komma zu setzen(,) ist gar nicht so einfach.
Wenigstens die Grundregeln verstanden zu haben(,) lässt sich als Erfolg verbuchen.
Zukünftig weniger Kommafehler zu machen(,) scheint ein erstrebenswertes Ziel zu sein.
Das war ein ganz schönes Pfund, was? Aber Sie haben tatsächlich bis hier durchgehalten – Respekt! Infinitivgruppen stellen tatsächlich eine der schwierigsten Disziplinen der Regeln zur deutschen Kommasetzung dar, daran konnte auch die Reform nichts ändern.
Ein kleiner Tipp zum Schluss: Manchmal hilft es, sich einen Satz einfach mal laut, langsam und betont vorzulesen. Wenn Sie das Bedürfnis haben, eine kleine Pause zu machen (zum Beispiel, um einmal Luft zu holen), spricht relativ viel dafür, an genau dieser Stelle ein Komma zu setzen. Nehmen wir noch einmal das Beispiel mit der Oma: An welcher Stelle haben Sie das Bedürfnis, Luft zu holen? Wenn dies zwischen bitten und Oma geschieht, sollte die Großmutter besser schon mal über ihr Testament nachdenken.
Die gute Nachricht: Wer diese Regeln verstanden hat, hat richtig gute Karten, auch die Regeln zur Kommasetzung bei Partizipgruppen zu verstehen. Und um die kümmern wir uns beim nächsten Mal.
Beitragsbild: Britta Kretschmer
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